«Der Frauenanteil in der Elektrotechnikbranche ist bescheiden.»
Déborah Sig, würden Sie die Elektrotechnik oder die Burkhalter Gruppe als frauenfeindlich bezeichnen oder warum gibt es Ihrer Meinung nach so wenige Frauen in dieser Branche?
Die Elektrotechnik ist alles andere als frauenfeindlich. Speziell die Burkhalter Gruppe ist sehr daran interessiert, Frauen für die Welt der Elektrotechnik zu begeistern. Leider ist es bis heute so, dass sich Frauen zwar für die technische Materie interessieren, sich aber für klassischere Berufe oder Studiengänge entscheiden. Aber Sie haben Recht, der Frauenanteil im Unternehmen ist bescheiden.
Weibliche Führungskräfte sind in technischen Berufen noch seltener anzutreffen als technische Mitarbeiterinnen. Woran liegt das?
Es ist kein Geheimnis, dass die Frauenquote in vielen Unternehmen verbesserungswürdig ist. Trotzdem haben viele Branchen Mühe, Frauen als Arbeitskräfte für das eigene Unternehmen zu gewinnen. Diese dann gezielt zu fördern und in Führungspositionen einzusetzen, gleicht einer Herkulesaufgabe. Und es ist ja nicht so, dass die Elektrotechnikbranche Männer bei der Stellenvergabe bevorzugt behandelt, es landen einfach fast nur Bewerbungsdossiers von Männern auf dem Tisch. Umso mehr freut es uns natürlich, wenn ab und zu eine Bewerberin dabei ist. Um mehr Frauen für die Berufe der Elektrotechnik zu begeistern, sollte meiner Meinung nach das technische Interesse möglichst früh gefördert werden. Realistisch gesehen bleibt die Elektrotechnik aber sicher auch in Zukunft eine Branche, welche mehr Männer als Frauen anspricht.
«Leider ist es bis heute so, dass sich Frauen zwar für die technische Materie interessieren, sich aber für klassischere Berufe oder Studiengänge entscheiden.»
Warum?
Für mich liegen die Gründe dafür in den noch immer existierenden Rollenbildern. Die klassische Hausfrau wird mehr und mehr zum Auslaufmodell und in Sachen Gleichstellung ist gerade vieles im Umbruch. Trotzdem muss in der heutigen Gesellschaft noch einiges passieren, bis Männer und Frauen wirklich gleich werden.
Hatten Sie das Gefühl, in einer gleichberechtigten Welt aufzuwachsen?
Ja und nein. Meine Eltern haben mich offen erzogen, aber trotzdem hörte ich in meinem Umfeld oft Sprüche wie: «Eine Frau, die etwas von Elektrotechnik versteht? Bei Wind und Wetter draussen? Allein unter Männern am Steckdosen verdrahten?» Ich kann teilweise nachvollziehen, dass das für die Gesellschaft bis heute schwer vorstellbar ist. Aber warum? Was spricht eigentlich dagegen?
Sie haben einen Bachelor in Elektronik, Elektrotechnik und Automation und einen Master in Automation. Warum haben Sie sich für diese Fächer entschieden?
Glücklicherweise durfte ich mich bereits in meiner Kindheit bewusst mit meinen Stärken und Interessen auseinandersetzen. Da mich die Elektrotechnik schon immer begeistert hat, war dieses Studium die logische Konsequenz für mich. Meine Kindheit verbrachte ich grösstenteils mit meinen Grosseltern. Wir waren viel draussen oder am Basteln. Und technische Arbeiten haben mich schon früh begeistert. Mit sieben Jahren habe ich zusätzlich mit Karate angefangen und mit 16 bin ich zur Feuerwehr. Und ja, natürlich war ich damals im Karate und in der Feuerwehr das einzige Mädchen, fühlte mich dabei aber nie unwohl.
«Die klassische Hausfrau wird mehr und mehr zum Auslaufmodell und in Sachen Gleichstellung ist gerade vieles im Umbruch.»
Wie wurden Sie Geschäftsführerin der Burkhalter Automation AG in Pratteln?
Nach meinem Masterabschluss im Jahr 2006 habe ich bei der Burkhalter Automation AG in Pratteln einen Job als technische Sachbearbeiterin angenommen. 2010 folgte dann der interne Wechsel in die Projektleitung. Neun Jahre später wurde mir die Stelle als Geschäftsführerin angeboten. Das Angebot kam überraschend.
Warum? Sie bringen doch alle Voraussetzungen mit.
Das stimmt, ich habe mich trotzdem nie aktiv mit dieser Karrieremöglichkeit auseinandergesetzt. Ausserdem war für mich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein zentrales Thema. Ich wollte alle Familienmitglieder in die Entscheidung, die Stelle als Geschäftsführerin anzunehmen, miteinbeziehen. Mein Sohn war damals zehn Jahre alt. Ich wollte, dass auch er verstand, was diese Funktion alles mit sich bringt.
Haben Sie den Eindruck, sich mehr beweisen zu müssen als Ihre 44 Geschäftsführer-Kollegen in der gleichen Funktion?
Nein, das Gefühl habe ich nicht. Wenn man seinen Job richtig ausführt, braucht man sich nicht zusätzlich zu beweisen. Marco Syfrig und Zeno Böhm, CEO und CFO der Burkhalter Gruppe, haben mir von Anfang an grosses Vertrauen geschenkt. Daher empfinde ich die Burkhalter Gruppe alles andere als frauenfeindlich. Im Gegenteil, die Geschäftsführer waren begeistert und haben mich mit offenen Armen empfangen.
Was könnte die Branche bzw. die Burkhalter Gruppe hinsichtlich Vereinbarkeit von Beruf und Familie besser machen?
Der Fachkräftemangel in der Elektrotechnikbranche ist seit Jahren ein Thema. Es fehlt mehr und mehr an gut ausgebildeten Spezialistinnen und Spezialisten. Das grösste ungenutzte Potenzial liegt laut Studien bei der Gewinnung von Frauen. Gemäss Swissmem ist der Frauenanteil in der Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie mit 27 Prozent unterdurchschnittlich besetzt. Und genau hier könnten Anreizmodelle geschaffen werden, um Frauen noch bewusster anzusprechen. Flexible Arbeitszeitmodelle wie Jahresarbeitszeit, gleitende Arbeitszeiten, Jobsharing oder Homeoffice schaffen Flexibilität. Wer eine Familie hat und berufstätig ist, weiss, wie hilfreich Flexibilität sein kann. Auch ein stufenweiser Wiedereinstieg nach einem Mutterschaftsurlaub kann attraktiv sein. Davon profitieren innerhalb einer Familie alle Mitglieder, Männer wie Frauen.
«Der Fachkräftemangel in der Elektrotechnikbranche ist seit Jahren ein Thema. Es fehlt mehr und mehr an gut ausgebildeten Spezialistinnen und Spezialisten. Das grösste ungenutzte Potenzial liegt laut Studien bei der Gewinnung von Frauen.»
Sprechen Sie mit Ihren Berufskolleginnen und -kollegen über diese Themen?
Natürlich. In der heutigen Zeit gibt es viele unterschiedliche Lebensentwürfe und Bedürfnisse. Trotzdem entspricht es nach wie vor der gängigen Norm, dass die Frau zu Hause für die Kinder sorgt, einem Teilzeitpensum nachgeht und der Mann zu 100 Prozent arbeitet. Für Frauen ist es unheimlich schwer, den Wiedereinstieg ins Berufsleben nach einer Babypause richtig zu planen. Aber auch Männer sind betroffen. Viele von ihnen können sich einen «Papi-Tag» vorstellen und wären dafür bereit, ihren Job in einem Teilzeitpensum auszuüben. Leider sind solche Modelle in unserer Branche bis heute nur begrenzt möglich oder sie sind zu wenig sichtbar. Viele Arbeitgeber/innen scheuen auch den Aufwand, weil sie denken, es ist in der Praxis schwer umsetzbar. Ich finde, es ist eine notwendige und gewinnbringende «Investition» für Unternehmen, solche Modelle in Zukunft bewusst anzubieten. Es schafft Attraktivität und erleichtert es, Mitarbeitende zu finden und langfristig zu halten.
Wer führt besser, Männer oder Frauen?
Gute Führung ist für mich keine Frage des Geschlechts. Werte wie Ehrlichkeit, Toleranz, Verständnis, Fairness, Respekt und gemeinsame Ziele im Team sind für mich der Schlüssel zum Erfolg. Solange diese Frage in der Gesellschaft nach wie vor im Raum steht, liegt in Sachen Gleichstellung noch eine Menge Arbeit vor uns.
«Gute Führung ist für mich keine Frage des Geschlechts. Werte wie Ehrlichkeit, Toleranz, Verständnis, Fairness, Respekt und gemeinsame Ziele im Team sind für mich der Schlüssel zum Erfolg.»
Was halten Sie vom Begriff «Quotenfrau»?
Einerseits finde ich es zu einfach, einer Quote zuliebe ausschliesslich Frauen für eine Stelle zu berücksichtigen. Das wäre auch gegenüber jenen Männern nicht fair, die für diese Funktion besser geeignet wären. Andererseits dauert es ohne diesen externen Druck in der Gesellschaft wohl zu lange, um wirklich sichtbare Veränderungen in den Unternehmen voranzutreiben.
Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen ist herausfordernd. Woher nehmen Sie die Energie dafür?
Meinen Ausgleich finde ich im Sport. Da kann ich jede Menge Energie tanken. Ausserdem brauche ich neben meinem Job als Geschäftsführerin auch andere Herausforderungen, welche sich nicht primär ums Geschäft drehen. Sport motiviert mich jeden Tag aufs Neue und er gibt mir Kraft. Er zwingt mich, meine Komfortzone zu verlassen. Darum trifft man mich in meiner Freizeit sicher bei einer Runde Joggen im Wald an. Ich habe auch nie mit dem Karate aufgehört und habe bis heute den Dan 5 (Meistergrad im Kampfsport).
Haben Sie als erste Frau als Geschäftsführerin eine Vorbildrolle im Unternehmen?
Wenn ich als Geschäftsführerin junge Frauen für die Elektrotechnik begeistern kann, freut mich das natürlich. Es gibt bereits jetzt viele gute Ansätze in der Burkhalter Gruppe, um vermehrt Frauen für die Elektrotechnikbranche zu begeistern. In meiner Vorbildfunktion als weibliche Führungskraft kann ich sicher dazu beitragen, unterschiedliche Anreizmodelle innerhalb des Unternehmens voranzutreiben.
Was möchten Sie berufstätigen Frauen mit auf den Weg geben?
Sich beruflich auch mal in den Mittelpunkt zu stellen ist nicht einfach, aber durchaus effektiv. Man wird sichtbar. Zu hoffen, für eine Stelle berücksichtigt zu werden, ohne sich aktiv darum zu bemühen, funktioniert in den seltensten Fällen. Sich zu verkaufen und die Selbstzweifel zu Hause zu lassen sind für mich Wege, um beruflich weiterzukommen. Ausserdem muss es einem in Führungspositionen in gewisser Weise egal sein, was andere von einem denken. Du musst in der Lage sein, unpopuläre Entscheidungen zu treffen und immer im Sinne des Unternehmens zu handeln. Transparenz und ein authentisches Auftreten sind dabei wichtige Bestandteile, die eine gute Führungskraft mitbringen sollte.